„Noch Zehn!“ sagt Aufnahmeleiter Jesko neben der Kamera zu mir und meint damit die zehn Sekunden, die bis zum Anfang der Live-Show im ZDF bleiben. In dem Moment schießt mir bis heute eine gesunde Portion Adrenalin ins Blut. Ich genieße das, weil jetzt der schönste Teil meiner Arbeit beginnt: Das Moderieren.
Wie oft hatte ich als Kind und Jugendlicher vor dem Fernseher gesessen und die großen Showmaster und Entertainer wie Hans-Joachim Kuhlenkampf und Rudi Carrell bewundert. Je älter ich wurde, umso mehr war ich von den amerikanischen Late Night Stars Jay Leno oder David Letterman begeistert. Ein Live-Publikum unterhalten mit allem, was die Entertainment-Palette hergibt – Sketche und Stand-Ups, Songs und Talks – das faszinierte mich. Die Vorzeichen für meine eigene Karriere vor der Kamera standen allerdings denkbar schlecht. „Ich will Moderator werden, was muss ich dafür tun?“, fragte ich als Teenager bei der ersten Berufsberatung unseres Gymnasiums. „Ganz schwierig“, sagte der Radio-Journalist, der uns an jenem Abend das weite Feld der Medienberufe vorstellte. Das könne nur in Ausnahmefällen funktionieren. Moderator – das wollen nämlich alle werden.
Fasziniert hatte mich anfangs das Radio. Bayern 3, das Jugendprogramm des Bayerischen Rundfunks, lief bei uns den ganzen Tag. Und freitags waren „Die Schlager der Woche“, die Hitparade, die schon damals Kult war, ein wöchentlicher Pflichttermin. Oft habe ich die Songs dabei auf Kassette aufgenommen und mit meinem Freund Reinhard bastelten wir uns mit gerade mal elf Jahren unsere eigenen Radioshows.
Die erste wirkliche Moderation war für unsere Abitur-Feier. Da mussten mich die Schulkollegen nicht lange bitten. Das Programm hatte wir uns am Rande der Arbeiten zur Abiturzeitschrift überlegt: Ich spielte mit Lehrern „Herzblatt“, verlas eigene Gedichte und gab auch unserem Direktor den ein oder anderen Spruch mit auf den Weg. Kurz: Es war ein großer Spaß, für die auf der Bühne Beteiligten genauso wie das aus Schülern, Eltern und Lehrern bestehende Publikum. Der abschließende Applaus hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und mich in dem Wunsch, genau so etwas auch beruflich zu machen, sehr bestärkt.
Ich wollte das ganze Mediengeschäft von der Pike auf lernen und machte einige Praktika bei Film- und Fernseh-Produktionsfirmen. Kaffeekochen und Frühstückmachen waren damals mit die wichtigsten Dinge, die ich zu erledigen hatte. Und dabei schaute ich mit offenen Augen auf die Arbeit der Beteiligten. Durch ein Kameravolontariat sah ich die Welt vor der Linse noch einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel. Ein Radiovolontariat bei „Radio Oberland“ schärfte meine journalistische Neugier. Und weil ich schon zum Start des Senders in Garmisch-Partenkirchen mit an Bord und das Team klein war, konnte ich mich in allen Bereichen ausprobieren. Sportberichterstattung, Nachrichten und auch als Moderator. Die ersten Berichte machte ich damals noch mit einem Autotelefon. Die erste Reporterkabine beim Neujahrskispringen schnappte ich mir illegal, sie war eigentlich das Kabellager der Fernsehkollegen.
Dank etwas Glück erfuhr ich noch während meines Volontariates von einem RTL Casting für eine neue Jugend Talkshow: Der HAIsse Stuhl. Da wollte ich mich bewerben, nur wusste ich gar nicht genau wie das in so einem Fall geht. Saskia, damals im Radiomarketing, half mir schließlich und obwohl die Bewerbungsfrist längst abgelaufen war schickte ich Brief samt Bildern hin. Mit Erfolg, ich wurde eingeladen und fand mich Wochen später in einem großen Raum randvoll mit Casting-Kandidaten. Die Aufgabenstellung: Etwas über mich erzählen, drei Moderationen machen und entspannt bleiben. Ich war extrem aufgeregt, doch es wurde super lustig und ich hatte beim Casting ein super Gefühl. Danach dauerte es allerdings eine gefühlte Ewigkeit, bis die Zusage kam. Drei Pilotfolgen später war klar: Wir gehen auf Sendung. „Der HAIsse Stuhl“ wurde am Samstag Vormittag zum Erfolg, bis zu fünfundvierzig Prozent Marktanteil und eine Millionen Zuschauer pro Sendung, ein echter Erfolg.
Die Fernseharbeit trug dazu bei, dass ich mein Volontariat um ein halbes Jahr verkürzen konnte und danach mit dem Studium in München begann: Diplom-Journalistik, ein Mix aus Kommunikationswissenschaft, Soziologie, Psychologie und Politik. Es war super spannend, nur habe ich während der Zeit auch täglich gearbeitet. Das hieß, ich kam morgens oft erst nach der Moderation der Morning Show beim Münchener Sender Charivari 95.5 völlig abgehetzt, verschlafen (immerhin war ich da oft schon gegen 2:30 Uhr im Sender) und verspätet in die Seminare an die Uni. Obgleich mir das wichtige Praxiserfahrungen bescherte, waren die Dozenten davon nicht sonderlich begeistert.
Als ich nach vielen vergeblichen Bewerbungen beim Bayerischen Rundfunk schließlich eine Hospitanz bekam, war das eine klare Entscheidung. Ich gab die Moderation auf und heuerte als Praktikant bei Bayern 3 an. Nach einer Woche hatte ich täglich mindestens einen Beitrag für Sendungen produziert – unentgeltlich. Am Montag der Folgewoche hieß es dann „ab heute gibt es Geld“. Schnell konnte ich auch erste Live-Events für den Sender moderieren und wurde Produktmanager der Super 3-Show. Einer täglichen Jugend-Show mit internationalen Gästen, Talks und Beiträgen. Nach ersten Einsätzen am Wochenende konnte ich schließlich auch unter der Woche moderieren. Am Ende auch genau die „Schlager der Woche“, die ich als Kind mit meinem Kassettenrekorder selbst zusammen gebastelt hatte. Als ich zum ersten Mal mit den Hits der Woche im Studio saß, fühlte sich das an wie in einem wahr gewordenen Traum. Ich war unfassbar stolz. Gleichzeitig hatte es etwas Irreales. An die vielen Stars, insbesondere an die amerikanischen, die damals in meine Radiosendungen kamen, musste ich mich gewöhnen. Viele von ihnen hatte ich über Jahre hinweg aus der Ferne bewundert, plötzlich saßen sie mir gegenüber. Anfangs hatte ich große Berührungsängste und es viel schwer, sich ihnen als Gesprächspartner auf Augenhöhe zu nähern. Doch mir wurde schnell klar, dass die größten Stars meist auch gute Gesprächspartner sind.
Nach der Bayern 3-Zeit wechselte ich zurück zu RTL, moderierte aus München die „Guten Abend“-Ausgabe. Für mich war es eine wichtige Zeit, weil ich dabei auch Beiträge schnitt, Nachrichten schrieb und jede Menge Gäste hatte. In den Live-Sendungen wurde schnell klar, dass mein Gefühl für Zeit, das ich im Laufe der Jahre beim Radio entwickelt hatte, beim Live-Fernsehen Gold wert ist.
Wie ich bei all der Arbeit – inzwischen hatte ich auch viele andere Jobs als Sprecher, Schauspieler, Business TV- oder Event-Moderator – überhaupt mein Studium zu Ende bringen konnte, kann ich heute gar nicht mehr sagen. Ich weiß nur, dass mir meine Diplomarbeit „Der Moderationsstil von Thomas Gottschalk in Wetten, dass…? und seine Auswirkungen auf die Folgegeneration“ am Ende viel Freude gemacht hat. Ich habe dazu eine ganze Ladung von TV-Shows analysiert und verglichen. Die Arbeit daran habe ich wirklich unterschätzt. Nach vielen Nachtschichten und unendlichen Schreib-Tagen hielt ich allerdings stolz mein Diplom in der Hand.
Und als ob es Schicksal gewesen wäre, klingelte bei mir am Nachmittag nach der letzten mündlichen Diplomprüfung das Telefon. Dran war das ZDF, das mir eine Sendung in Düsseldorf anbot, die nun schon 19 Jahre meines Lebens bestimmt: Volle Kanne.
Die Sendung wird Marktführer und bis heute frühstücke ich drei Wochen im Monat mit Stars im Fernsehen. Ende 2000 hätte ich nicht gedacht, dass diese Morning Show zu einer solchen Erfolgsgeschichte werden würde. Längst kommen auch immer mehr internationale Gäste wie Ken Follett, Natalie Imbruglia, Deep Purple oder Michael Bolton zum Frühstück.
Für mich ist dieser Erfolg Ausgangspunkt vieler neuer Projekte. Ich konnte für das ZDF neben Volle Kanne bisher über 40 Shows moderieren, rund 700 Hallo Deutschland-Sendungen und war bei vielen Kollegen anderer Sender zu Gast. Unter anderem in der „Harald Schmidt Show“. Harald war einer der Helden meiner Jugend. Und meine Arbeit im Fernsehen macht auch neue Veranstalter und Event-Agenturen auf mich aufmerksam. Wenn ich heute bei Award-Verleihungen und großen Galas wie dem Live Entertainment Award oder der Publisher’s Night auf der Bühne stehe, bin ich froh und glücklich, dass mir so viele Entscheider vertrauen.
Auf der Live-Bühne und bei der Fernseh-Arbeit ist mir wichtig, Inhalte entspannt und unterhaltsam zu präsentieren. Als moderne Form des klassischen Entertainers im besten Sinne Gastgeber zu sein, das Publikum mit auf die Reise zu nehmen und zu begeistern.
Ich freue mich, dass der Beruf des Moderators für mich jeden Tag neue überraschende Herausforderungen bringt. Wann immer ein Aufnahmeleiter „Noch 10!“ ruft, fühle ich mich wie ein Pferd in der Box, das endlich starten darf. Nun schon so viele Jahre erfolgreich in meinem Traumberuf arbeiten zu können ist ein großes Geschenk, für das ich sehr dankbar bin.